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Preisverleihung sorgt für Wirbel

Eine der schönsten Straßen Deutschlands liegt im Berliner Bezirk Moabit. Es ist eine Straße wie es sie zu Hunderten in Großstädten gibt. Warum ausgerechnet diese Straße eine Auszeichnung verdient hat, offenbart sich vielen erst auf den zweiten Blick...

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Der Janosch-Oscar wird in der Emdener Straße angebracht

In einem Beet voller knallbunter Blumen sitzt der grüne Frosch, vor ihm die Tigerente, und der kleine Bär hängt in seinem Garten Wäsche auf. An der Straßenecke ein Bienenstock, auf der Straße keine Autos, nur Fahrräder. Alle Nachbarn sind gut drauf. So zeichnet Janosch die schönste Straße. In der Emdener Straße im Berliner Bezirk Moabit ist man davon weit entfernt. Trotzdem wurde sie als schönste Straße ausgezeichnet. Wie kann das angehen?

Der erste Blick...

Ein Mülleimer quillt über, auf der Straße liegen Papierbecher, Zeitungen, Plastikmüll, zerbrochene Flaschen. Die schmutzig-grauen Rollläden der Fenster im Haus gegenüber sind heruntergelassen. Der Hauseingang ist mit groben Graffiti-Tags besprüht. Ein Spielcasino mit zugeklebten Scheiben. So sieht’s aus in der Emdener Straße.

... und der Zweite

Doch dann fällt der Blick auf einen wunderschön bemalten Stromkasten.
Winterlandschaft, sauberer, weißer Schnee, blauer Himmel, am Horizont zwei Häuschen – das Motiv auf dem Stromkasten. Dahinter ein Blumenbeet, umrandet von einem grünen Gartenzaun. In der Mitte ein Baum mit Plastikschild: „BlumenBeetPate – Verein Moabit“ steht darauf. Plötzlich entdeckt man noch mehr bemalte Kästen, eine Beachlandschaft mit herrlichem Meer. Sieht noch mehr Bäume, mehr umzäunte Beete, viele Fenster ohne Rollos. Lachende Anwohner vor einem Internetcafe, andere vor der Kita, Schulkinder auf dem Heimweg.

Wer ist die Schönste im ganzen Land?

Zehn Straßen in ganz Deutschland hat das Netzwerk Nachbarschaft – gemeinsam mit hagebaumarkt – ausgezeichnet, in Berlin ist es die Emdener Straße geworden. So hat die Jury entschieden. Die Auszeichnung hat auch für fragende Gesichter gesorgt. „Das soll die schönste Straße Deutschlands sein?“ – Safiye Ergün, Inhaberin eines Pflegedienstes an der Ecke, schaut ungläubig drein. Als sie vor 30 Jahren ein Ladengeschäft suchte, wollte sie nicht wirklich in die Emdener Straße ziehen. „Hier war es ekelig und schmutzig, wirklich sehr unattraktiv“. Doch dann passierte etwas. Weil sich die Anwohner aufrafften und eine Gemeinschaft bildeten. Sich engagierten. Safiye Ergün erzählt vom Straßenfest, von den neuen Beeten und vom nachbarschaftlichen Miteinander. „Heute ist alles anders“ sagt sie, „ich arbeite jetzt wirklich gerne hier.“ Sie zeigt ein kleines Fotoalbum. Man sieht Anwohner unter einem bunten Schild posieren: „Emdener treffen Emdener“ lautete das Motto des Straßenfestes. Kinder und Eltern pflanzen Blumen, harken in den Beeten, sammeln gemeinsam Müll. Die Sonne scheint, es gibt Kaffee und Kuchen, für Autos ist die Straße an diesem Tag gesperrt.

Eine Nachbarschaft ergreift Initiative

Über 30 Nationen leben in dieser Straße Tür an Tür. Frauen mit Kopftüchern und ohne, aus Osteuropa, Spanien oder aus der Türkei. Auf den Fotos von Safiye Ergün strahlen Menschen aus Deutschland und Migranten um die Wette. „Es ist viel schöner geworden in den letzten Monaten“, sagt sie.  Angefangen hat es mit einem Straßenfest. Das hat Phillip Schreiterer zusammen mit seiner Freundin Franziska Willbrandt und anderen Nachbarn organisiert. Die beiden waren vor allem der schönen Wohnung wegen in die Emdener Straße gezogen, damals noch ein relativ unpopuläres Umfeld. Als Schreiterer und seine Freundin eines Abends vor ihrer Haustür angepöbelt wurden, reichte es ihnen. Wegziehen kam nicht in Frage. Und so haben sie Ihre Wut in Nachbarschaftsarbeit kanalisiert. Mehr Miteinander wollten sie herstellen, die Nachbarn kennen lernen und ein Bewusstsein schaffen für den gemeinsamen Wohnraum. Den Müll aufsammeln wollten sie auch nicht mehr alleine. Schreiterer und seine Nachbarn haben viel erreicht. Es ist sehr viel sauberer geworden, viele Anwohner grüßen sich.

Der Anfang ist gemacht

Der Weg, den die Emdener Straße vor sich hat, ist noch weit. So wie die Zerstörung eines neuen Zauns am Blumenbeet gibt immer wieder Rückschläge. Die gepflanzten Bäume und Beete wollen gegossen, begrünt und gepflegt werden, den sich dort sammelnden Hundehaufen zum Trotz. Mualla Örnek ist vor über 30 Jahren nach Berlin gezogen, seitdem lebt sie hier in der Emdener Straße. Auch sie hat hier unschöne Dinge erlebt: „Meine Kinder sind weggezogen. Sie wollten, dass ich auch wegziehe. Aber jetzt hat sich so viel verändert, das fällt auch ihnen auf“. Die kleine Frau mit den perfekt aufgedrehten Locken strahlt. „Ich lebe jetzt gerne hier in der Emdener Straße!“ Auch Studenten zieht es hierher: „Ich wohne seit über einem Jahr hier und habe mich von Anfang an wohlgefühlt“, sagt ein 32jähriger Nachbar. Die ganz schlechten Zeiten der Emdener Straße, im Drogendreieck mit einigen Gewaltverbrechen, hat er nicht mehr erleben müssen.

Verdienst: Der Janosch-Oscar

Zwischen den Bäumen, um die sich Paten kümmern, und den umzäunten Blumenbeeten der Emdener Straße ist jetzt der Janosch-Oskar angebracht. „Die schönste Straße Deutschlands“ steht darauf. Zu Recht, finden wir, denn nachbarschaftliches Engagement soll, nein, muss belohnt werden. Die Aktionen machen Mut, nicht nur in der Emdener Straße – nachbarschaftliches Engagement wird überall gebraucht.