Teilen & Tauschen

Eine Stunde für eine Stunde – Zeittauschbörsen

Nachbarschaftshilfe funktioniert hervorragend über Zeittauschbörsen. Dieses Modell entdecken immer mehr Anwohnergemeinschaften, weil es Helfen und Hilfe-Nehmen leichter macht.

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Wenn es eine Währung gibt, deren Wert stetig steigt, dann ist es Zeit. Die Idee, eigene Talente mit anderen Menschen zu tauschen, findet bundesweit immer mehr Zuspruch. Ob Einkaufshilfe gegen Babysitten oder Hilfe am PC gegen kleine Gartenarbeiten, das Prinzip ist denkbar einfach: Mitglieder bringen sich mit ihren unterschiedlichen Talenten für die Gemeinschaft ein. Wer mit guten Taten Punkte auf dem Zeitkonto „sammelt“, kann diese später bei Hilfebedarf selbst einlösen. Oder man spendet die gesammelten Pluspunkte auf ein Sozialkonto für Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, Hilfe zu leisten.

Von den Pionieren lernen

In Nachbarschaften, Vereinen und Quartiersgemeinschaften sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Zeittauschbörsen und Zeitbanken entstanden. Initiativen wie der Aachener Nachbarschaftsring Öcher Frönnde e.V. oder der Marburger Tauschring sind Pioniere, die auf langjährige und gute Erfahrung zurückblicken können. Das Tauschprinzip funktioniert auch im kleinen Umfang wie die Zeitbank Wöllstein zeigt, die für ihr Modell vergangenes Jahr ausgezeichnet wurde.

„Die Zeittauschbörse ist ein Zukunftsmodell mit großem sozialem Potenzial“, sagt Erdtrud Mühlens vom bundesweiten Netzwerk Nachbarschaft. „Ihr Erfolg basiert auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und dem Kontakt auf Augenhöhe.“ Schon heute sei der Zeittausch nicht mehr aus dem Alltag aktiver Nachbarschaften wegzudenken. Die prämierten Projekte stellt das Netzwerk auf seiner Internet-Plattform vor. Sie alle folgen dem Prinzip „Eine Stunde für eine Stunde.“ Viele Freiwillige finden es erstrebenswerter, im direkten Wohnumfeld Hilfe zu geben, wo man sich kennt und vertraut. „Durch das ausgewogene Prinzip ‚Geben und Nehmen‘ fällt auch die Scham, um Hilfe zu bitten“, sagt Mühlens.

Zeitbank Wöllstein: „Kontoauszüge“ zum Jahresende

Der Nachbarschaftsverein „Zeitbank Wöllstein“ hat bereits Wettbewerbs-Erfahrung gesammelt. Rund 80 WöllsteinerInnen haben sich hier in einer Zeitbank vernetzt. Ihr erfolgreiches Modellprojekt wurde mit dem AOK-Förderpreis  „Gesunde Nachbarschaften“ aus Rheinland-Pfalz ausgezeichnet, eine Initiative von Netzwerk Nachbarschaft und der regionalen AOK. „Die Nominierung für den Preis hat uns einigen Zulauf beschert“, freut sich die Vereinsvorsitzende Pina Güntner. Angespart und eingelöst werden können Zeitguthaben bei den WöllsteinerInnen für Fahrdienste, IT-Hilfe, Babysitten, Unterstützung bei kleinen Reparaturen oder Gartenarbeiten. Jede freiwillige Dienstleistung ist gleich viel Wert - auch noch in zehn Jahren. Neue MitstreiterInnen bekommen in Wöllstein zum Einstieg zehn Stunden geschenkt. Einmal im Jahr erhält jedes der rund 80 Mitglieder seine „Kontoauszüge“. Die Vereinsmitglieder machen auf Festen und auch auf Social-Media-Kanälen Werbung für ihr Nachbarschaftsbündnis. „Die Jüngeren finden die Idee toll. Oft sind sie aber mit Beruf und Familie so eingespannt, dass sie sich nicht noch zusätzlich engagieren können“, sagt Güntner.

Freiburger Verein SPES: Vertrauensbasis ist wichtig

Ein Problem, das man auch in Freiburg allzu gut kennt. Dort entwickelt der Verein SPES (Studiengesellschaft für Projekte zur Erneuerung der Strukturen) generationenübergreifend Zukunftsmodelle. „Die mittlere Generation der 30- bis 60-Jährigen ist sehr stark belastet. Das Bewusstsein und der Wille sind da, oft fehlt aber die Zeit“, sagt die Vorsitzende und Geschäftsführerin des Vereins Ingrid Engelhart. Die bei SPES angesiedelte Zeitbankplus unternimmt deshalb vermehrt Anstrengungen, ihre Aktivitäten auf alle Generationen auszuweiten. „Nicht nur ältere Menschen, auch junge Familien mit kleinen Kindern brauchen ganz oft Unterstützung. Dafür wollen wir Mitstreitende gewinnen, auch bei Jugendlichen, die diese Art der Nachbarschaftshilfe künftig vielleicht als Sozialpraktikum angerechnet bekommen könnten“, sagt sie. Unter dem Dach der Freiburger Zeitbankplus haben sich seit 2008 rund 600 Aktive registriert, die kleinsten Vereine mit 20, die größten mit rund 160 Mitgliedern. Mehr sollten Zeitbanken oder Zeittauschbörsen auch nicht haben. Man braucht eine Vertrauensbasis, um Hilfe zu geben und sie auch anzunehmen. Das Modell der Zeitbanken findet sie auch nach vielen Jahren noch „genial“. Das Engagement dafür solle aber nicht an große Organisationen gebunden sein, sondern im Partnerschaftlichen entstehen. „Es ist wunderbar, dass Hilfe nicht einseitig geschieht, sondern als Partnerschaft verstanden wird.“

Vorbild "Öcher Frönnde" in Aachen

Diese Erkenntnis haben auch die Zeittausch-Pioniere vom Aachener Nachbarschaftsring „Öcher Frönnde e.V.“ gewonnen. Seit 20 Jahren praktiziert die Nachbarschaft ein Zeittauschsystem mit alltagsnahen Hilfen. „Unser Verein war schon fast auf 170 Mitglieder gewachsen, wegen der Einschränkungen während der Corona-Pandemie sind wir wieder auf 110 geschrumpft“, sagt die Vereinsvorsitzende Monika Lang. „Das ist aber gar nicht so schlecht, denn wir wollen ja auch alle Helfenden kennen. Eine Zeittauschbörse ist schließlich auch ein Schutzraum.“

Hilfe spenden!

Möglichen NachahmerInnen rät Lang, sich einen festen Kreis von Teilnehmenden zu suchen und sich das Know-how bei Initiativen abzuschauen, die schon lange dabei sind. „Wir sind damals auch in Deutschland rumgereist, um zu lernen, was klappt und was nicht.“ Die Öcher Frönnde dienen vielen „Zeittausch-Anfängern“ als Vorbild, sie haben zahlreiche Auszeichnungen erhalten, auch von Netzwerk Nachbarschaft. Einen ganz praktischen Tipp hat Lang auch parat: „Tauschgeschäfte gelten als steuerpflichtig. Um beim Finanzamt die Gemeinnützigkeit nachzuweisen, muss ein sozialer Zweck erfüllt und auch in der Satzung verankert werden.“ In Aachen zum Beispiel gibt es neben dem Sparen auf eine „Zeitrente“ auch die Möglichkeit, seine Zeitpunkte oder geleisteten Stunden anderen Bedürftigen zu spenden.

 

  

Weitere Informationen:

Checkliste Zeittauschbörsen

Zeitbank Wöllstein

Zeitbankplus Lörrach

Marburger Tauschring

Bündnis Familie, Bad Honnef

Öcher Frönnde

Zeitbankplus, Gau-Algesheim