Gesundheit

"Wir Menschen sind die beste Medizin"

Warum Helfen keine Einbahnstraße ist und Nachbarschaftshilfe dringend sichtbarer werden muss: ein Interview mit Sophie Rosentreter, Demenzexpertin und Mitglied der AOK-Förderpreis-Jury.

Sophie Rosentreter unretouched c Katrin Schoening

Gerade jetzt in der dunklen Jahreszeit und mit den bevorstehenden Feiertagen werden Einsamkeitsgefühle bei vielen, vor allem älteren Menschen noch verstärkt. Wie können Nachbarschaften hier helfen?

Mir begegnet auch in meinem Viertel viel Einsamkeit. Da blutet mir das Herz, weil ich denke, wir haben als Gesellschaft etwas grundsätzlich nicht verstanden. Ich wünsche mir, dass Nachbarschaftshilfe, dass Empathie und füreinander da zu sein Teil unserer DNA werden. Das tägliche Miteinander ist unser sozialer Nährboden, für den wir alle verantwortlich sind. Aus der Hirnforschung wissen wir, dass Einsamkeit wehtut, richtige Schmerzen verursacht. Und was machen wir hier in Deutschland? Wir geben Pillen drauf. Dabei sind wir Menschen die beste Medizin.

Inzwischen wird auch auf höchster Bundesebene viel über Einsamkeit geredet, es gibt Studien und Pläne. Was können wir alle konkret tun?

Wichtig ist, dass ich genau hingucke und überhaupt wahrnehme, wo Ansprache oder Hilfe gebraucht wird. Manchmal wird die Hilfe, die ich anbiete, vielleicht auch gar nicht angenommen, aber dann bleibt zumindest ein nettes Gespräch. Wenn ich im Kleinen erlebe, wie viel Spaß es macht, anderen zu helfen, habe ich vielleicht auch Lust, mich ehrenamtlich zu betätigen. Dazu finde ich im Internet, zum Beispiel auf eurer Netzwerk-Nachbarschaft-Website, viele gute und wichtige Informationen.
Generell sind unsere Nachbarschaftsnetzwerke aber noch nicht sichtbar genug. Deshalb ist der Förderpreis „Gesunde Nachbarschaften“ von der AOK und Netzwerk Nachbarschaft auch so wichtig, weil er die tollen Projekte bekannter macht. Ich wünsche mir überall Begegnungscafés, wo sich die Nachbarschaftsinitiativen mit ihrem Engagement vorstellen können, wo sie voneinander lernen und gemeinsam schauen können, wie sich neue Leute gewinnen lassen.  

Hat sich da aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren schon etwas zum Positiven verändert?

Die Themenfelder, auf denen sich Leute engagieren, werden breiter, und es passiert schon viel, aber die fehlende Sichtbarkeit bleibt ein Problem. Natürlich ist es für eine pflegende An- oder Zugehörige schwierig, neben allem anderen auch noch für die gute Sache auf die Straße zu gehen. Wie soll sie das schaffen? Aber anders wird es nicht möglich sein. Unterstützung wird einerseits Geld kosten und andererseits unser aller Zeit, Mut und Sichtbarkeit. Wir müssen jetzt investieren. Schon in Kita und Grundschule sollten Kinder bedarfsgerecht ans Thema herangeführt werden. Wir müssen generationsübergreifende Brücken bauen, damit jüngere Menschen die Angst davor verlieren, mit älteren, hilfsbedürftigen Menschen in Kontakt zu treten.
Die Themen Pflege, Alter, Krankheit und auch Tod müssen viel mehr in das Leben und somit auch in unsere Nachbarschaft integriert werden. Wir sollten Alter nicht als Last sehen nach dem Motto: „Oh Gott, was kommt da auf uns zu“, sondern als Teil unseres Lebens.

Was hilft den helfenden Nachbarschaften selbst?

Ich würde mir Coachings für Nachbarschaftsnetzwerke wünschen. Einerseits mehr Fortbildungen zu ganz praktischen Themen: Wie kommen wir an Fördergelder? Wie werden wir größer? Wie gewinnen wir neue Leute? Wie machen wir unsere Strukturen schlanker, um effektiver zu werden? Andererseits auch Supervision. Als Helfende muss ich auch irgendwohin mit den Geschichten, die ich erlebe. Und wenn es nur einmal im Monat eine Selbsthilfegruppe ist.
Nachbarschaftliches Engagement sollte immer freiwillig sein und Spaß bringen. Sonst geht der Sinn dahinter verloren. Das Schöne ist ja, dass Helfen keine Einbahnstraße ist. Die Dankbarkeit, die helfende Menschen erfahren, stärkt auch ihre eigene psychische Gesundheit und wirkt sich positiv auf ihr Wohlbefinden aus.
 

Mehr über den AOK-Förderpreis "Gesunde Nachbarschaften"

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