Interview

"Mit einer Stimme sprechen"

Hans-Friedrich Bültmann ist Mitglied des Expertenrats von Netzwerk Nachbarschaft und als Architekt und Stadtplaner Spezialist für intelligente Infrastrukturen. Er nennt wichtige Kriterien für mehr Wohnqualität.

Hans-Friedrich Bültmann

Herr Bültmann, als Stadtplaner setzen Sie sich mit ihren Partnern für Bürgerplanung und -verwaltung "von unten" ein. Warum?

Weil wir wollen, dass die Bewohner mitentscheiden, wenn es um ihre Interessen geht und dass die lokale Politik in die Pflicht geht. Wenn Bürger mit einer Stimme sprechen, erreichen sie eine neue Machtverteilung. Und die Politik muss sich öffnen, um den Kontakt zur Bevölkerung zu halten.

Sie haben zahlreiche Projekte zur Dorf- und Stadtteilentwicklung geplant. Worauf kommt es bei der Umsetzung an?

Der Mitgestaltungs-Prozess. Wir bilden Arbeitsgruppen „von unten“ und bewerten gemeinsam die vorhandene Situation im Bereich Soziales, Infrastruktur- und Gebäude, Ökonomie bzw. Ökologie. Aus diesem Dialog heraus entwickeln wir kurz- und langfristige Maßnahmen. Neben den wichtigen Visionen für eine menschliche Zukunft gilt es, auch sehr schnell Wirkung zu erzielen.

Wie nehmen die Beteiligten Ihr Konzept an?

Sehr gut. Über die Jahre haben wir ein bewährtes Bürgerbeteiligungsprogramm entwickelt und können auch den Kommunen damit eine nachhaltige Ortsinnenentwicklung garantieren, die weit über den offiziellen Abschluss der Maßnahmen hinausgeht.

Wie sieht Ihr Modell konkret aus?

Es ist ein quasi autarkes Quartier mit 300 bis max. 3.000 Menschen. Das ist das Maß aller Dinge, sei es das Dorf oder der Stadtteil. Im Zentrum steht bei diesen Quartieren das von uns entwickelte Bürgerhaus mit DORV-Zentrum, Bürgerbüros und Marktplatz. Zur Zeit sind 10 Bürgerhäuser in Planung, die ersten sollen 2013 realisiert werden. In den Bürgerbüros sind alle für den Ort relevanten Unterlagen und Informationen jederzeit für jedermann verfügbar!

Wie wird die Versorgung der NachbarInnen gestaltet?

Ökologisch, sozial und nachhaltig. Wir bauen auf regionale Energiekonzepte, chemiefreie Landwirtschaft, sauberes Grund- und Trinkwasser, Schall- und Emissionsschutz an Hauptstraßen. Ein wesentlicher Punkt ist die Verjüngung und Stabilisierung der Gesellschaft. Das schaffen wir über Starterhaussiedlungen für jung und alt, die nach und nach ausgebaut und sehr günstig finanziert werden können. Wir nehmen die älteren Bewohner in die Mitte (der Gesellschaft), wie es in Dänemark der Fall ist, als "Centerkonzept". Es braucht barrierefreie Orte und Begegnungsflächen im gesamten Ort als Mischverkehrsflächen, für die "schwachen Verkehrsteilnehmer" und neue Fuß- und Radwegsysteme.

Wie lässt sich das finanzieren?

Im Prinzip sogar ohne Mehrkosten und ohne eigene Haushaltsansätze, zum Beispiel für die Entfernung der Bordsteine aus Reparaturmitteln. Wir bezeichnen das Modell als „Slow city“, denn alle Prinzipien gelten der nachhaltigen Beruhigung.

Welche Qualitäten bei der Stadt- und Dorfplanung werden häufig übersehen?

Die Förderung von Handwerkern und Dienstleistern über "Handwerkerhöfe" und damit die Förderung der jungen Selbstständigkeit. Auch regionaler Obst- und Gemüseanbau mit Direktvermarktung, Streuobstwiesen, konsequente Dorfbegrünung mit Nutzpflanzen.

Hans-Friedrich Bültmann hat mit seinen Partnern alle Ökologischen Siedlungen seit 1978 in Ostwestfalen geplant und realisiert, u.a. die Siedlung Waldquelle und Solarsiedlung Kupferheide.
 Als Spezialisten im landwirtschaftlichen Bauen begleiten die Experten seit 15 Jahren u.a. den Bauernhof Meyer zur Müdehorst, der als Bundesweit bester Bauernhof ausgewählt wurde. Die Stadt- und Dorfplaner haben an mehr als 70 Architektur- und Städtebauwettbewerben teilgenommen und 20 erste bis dritte Preise erzielt.