Nachbar, ärgere dich nicht!
Die Musik ist entschieden zu laut, der Kinderwagen versperrt den Flur: Kleine Ärgernisse gehören zum Alltag in Nachbarschaften. Die Checkliste „Streitkultur“ von Netzwerk Nachbarschaft hilft, Konflikte gut zu lösen.
Friedlich mit seinen Nachbarinnen und Nachbarn zusammenleben – wer will das nicht? Statt sich im Hausflur anzufauchen oder grußlos aneinander vorbeizugehen, pflegen die meisten NachbarInnen einen freundlichen Umgangston. Im Jahr 2021 lag der Anteil gerichtlicher Nachbarstreits im Bundesdurchschnitt bei 0,9 Prozent bezogen auf die Gesamtmenge an Zivilverfahren. Vor Gericht ist übrigens längst nicht ausgemacht, wer den „Sieg“ davonträgt. Unter den hohen Streit-Kosten, gegenseitigen Schuldzuweisungen und nervraubenden Verfahren leiden meist beide Parteien und können trotz Gerichtsurteil nicht in Frieden leben. Erdtrud Mühlens, Gründerin von Netzwerk Nachbarschaft, plädiert dagegen für eine neue Streitkultur unter NachbarInnen. „Für Streits gibt es feste Regeln! Wir sollten wegkommen vom schuldhaften Denken. Nachbarinnen und Nachbarn stören nicht absichtlich, um den anderen zu ärgern. Oft fehlt nur die Kenntnis, dass sich der andere gestört fühlt.“
Nach intelligenten Lösungen suchen
Nicht gegen, sondern mit dem Nachbarn oder der Nachbarin lautet die Devise. Beispiel: Eine ältere Bewohnerin empfindet es als rücksichtslos, dass ihre jüngere Nachbarin den Kinderwagen im Flur abstellt und ihr dadurch den Durchgang verengt. Ihre Nachbarin, eine alleinerziehende Mutter, fühlt sich von der älteren Nachbarin wegen dieser „Lappalie“ ständig gepiesackt. Dabei hat sie schon genug um die Ohren und oft keine Kraft, mit Einkäufen beladen und einem ungeduldigen Kind an der Hand den Kinderwagen in den ersten Stock zu hieven. Im Gespräch kommen sie gemeinsam auf eine Lösung. Die Seniorin kann das Kind beaufsichtigen, während die Mutter ihre Einkäufe und den Wagen verstaut. Beide haben gewonnen, denn die Seniorin mag kleine Kinder und die Mutter bringt ihr jetzt ab und zu Einkäufe mit. Eine Win-Win-Situation.
Brücken bauen
Nachbar-Streits kommen überall in der Gesellschaft vor. Da trifft Spaß an lauter Musik auf den Wunsch nach Nachtruhe, spielende Kinder auf den Wunsch nach Mittagsschlaf, Essensgerüche auf feine Nasen. Meist handeln NachbarInnen nicht in böser Absicht. Sie haben aber unterschiedliche Interessen. Um aus diesem Kreislauf auszubrechen, hilft nur eins: aufeinander zugehen. „Wir haben die Schlüssel zur Lösung von Konflikten selbst in der Hand“, sagt Mühlens. Das „Trampeln“ von oben raubt Ihnen den Nerv? Dann laden Sie Ihren Nachbarn freundlich zu einer „Hörprobe“ bei sich ein und prüfen gemeinsam, wie der Schalllärm abgestellt werden kann. NachbarInnen stellen ihre Mülltüten wiederholt vor der Haustür ab? Bitten Sie die Hausverwaltung um ein freundliches Rundschreiben. „Wir kommen nur weiter, wenn wir dem anderen Wertschätzung entgegenbringen und seine Bedürfnisse anerkennen. Es bringt nichts, jemanden in die Enge zu treiben oder gar zu beschimpfen.“ Das gilt für alle Beziehungen. Wenn’s jedoch hart auf hart kommt, ist es gut, einen „neutralen“ Nachbarn oder Mediatoren zu Rate zu ziehen. Der erfahrene Schlichter sorgt dafür, dass jede Konfliktpartei zu Worte kommt, dass Streitregeln eingehalten werden und sich Verständnis füreinander aufbauen kann. „Da, wo Nachbarn und Nachbarinnen gemeinsam einen Streit gelöst haben, entsteht oft ein besonders gutes Miteinander“, sagt Mühlens. „Weil man erfahren hat, dass ein gutes Gespräch zusammenschweißt und das Zusammenleben auf engem Raum bereichert.“
Wie gute Kommunikation gelingen kann, zeigt die Checkliste von Netzwerk Nachbarschaft (oben links).