Das Netzwerk

"Es entsteht eine neue Intelligenz"

Dass sie eine engagierte Netzwerkerin ist, nimmt man der Gründerin von Netzwerk Nachbarschaft gerne ab. Seit 2004 betreibt sie mit einem tatkräftigen Team die dynamisch wachsende Community für NachbarInnen. Ein Interview mit Erdtrud Mühlens.

PortraitEM

Sind Sie eine gute Nachbarin, Frau Mühlens?

Ich glaube ja. Ich mag meine Nachbarinnen und Nachbarn. Wir haben zusammen schon viel auf die Beine gestellt...

Zum Beispiel?

Den Einbau eines Aufzugs in unserem Haus. Vorher befragten wir NachbarInnen. Das hat uns richtig geldwerte Vorteile verschafft und erstklassige Referenzen. Oder das 100-jährige Jubiläumsfest unserer Straße mit einer 60 Meter langen Tafel, Musik, Ausstellung, Spielen und der Ehrung unseres sehr netten Briefträgers. Da habe ich viele aus meiner Straße besser kennengelernt und mit anderen eine Doppelkopfrunde gegründet.

Wie kamen Sie auf die Idee, das Netzwerk Nachbarschaft zu gründen?

Das hatte ganz persönliche Gründe. Ich habe 2004 knapp den Tsunami in Sri Lanka überlebt. Dafür war ich sehr dankbar. Ich wollte nicht einfach so weiter machen wie bisher. Das Erlebte und die viele Hilfe, die ich erfahren habe, hat mich darin bestärkt, das Prinzip der Solidarität und Gegenseitigkeit direkt vor Ort mit meinen Mitteln stärker zu fördern. Das war und ist für mich eine ganz entscheidende Qualität, die uns das Leben schöner und leichter aber auch sicherer macht.

Wie haben Sie diesen Gedanken dann umgesetzt?

Ich habe mit meinem Team eine Kampagne für gute Nachbarschaft entwickelt, die sich bundesweit an Leute richtet, die sich für ein besseres Wohnumfeld stark machen. Im ersten Schritt veranstalteten wir einen Wettbewerb für gute Nachbarschaftsprojekte. Die Reaktion war überwältigend. Da hatten wir einen Schatz gehoben. Seitdem arbeiten wir gemeinsam mit den Nachbarschaften daran, dass intelligente Projekte mehr Öffentlichkeit bekommen – und Förderung!

Das muss doch finanziert werden. Wie haben Sie das gemacht?

Ich habe eigene Mittel investiert und entschieden, dass alle Mitarbeitenden in meiner Agentur zu 30 Prozent für den Aufbau des Netzwerks arbeiten. Dazu gehört auch der Bau einer Internet-Plattform, die sich auf Projekte und Beratung für engagierte NachbarInnen spezialisiert und die Kontakte zu ihnen verbindlich und nachhaltig ausbaut. Es macht Freude zu sehen, dass das funktioniert. Jeder im Team von Netzwerk Nachbarschaft leistet tolle Arbeit, viele Politiker aber auch Freunde wie der Künstler Janosch unterstützen das Netzwerk. Wir arbeiten auch mit Unternehmen, die den Nachbarschaften direkt vor Ort ganz konkret helfen, ihre Projekte erfolgreich umzusetzen. Das kommt bei den NachbarInnen in mehrfacher Hinsicht sehr gut an.

Mit dem Ergebnis, dass heute rund 3.000 Initiativen aus Deutschland und Österreich zum Netzwerk gehören und sich allein 2018 rund 125.000 an den Aktionen des Netzwerks beteiligten.

Ja, das ist wirklich toll! Wir ziehen daraus für uns und für die Idee eine enorme Bestätigung. Das Netzwerk wächst von Tag zu Tag und ich bin beeindruckt, wie viel Mut, Kreativität und soziale Intelligenz in den Nachbarschaften steckt. Gute Nachbarschaft setzt viele positive Kräfte frei...

... Obwohl beim Stichwort Nachbarn ja oft auch an Streit gedacht wird. Kann man für harmonische Nachbarschaft überhaupt eine große Öffentlichkeit erzeugen?

Aber ja! Die Projekte der NachbarInnen sind spektakulär, das ist das Eine. Man muss nur den Blick dahin lenken. Und: Nachbarschaft betrifft uns alle, sie lässt keinen von uns kalt. Wir können alle dabei mitmachen, dass das Miteinander der Generationen und Kulturen gestärkt wird, und wir müssen dafür keine weiten Wege zurücklegen. Das beginnt ganz konkret vor unserer Haustür.

Was bietet die Internet-Plattform Netzwerk-Nachbarschaft.net besonderes?

Sie bietet ein Forum. Da ist eine neue Intelligenz unterwegs und will sich austauschen. Sie schafft keine virtuellen, sondern ganz reale Freundschaften. Das macht diese Community glaubwürdig und spannend. NachbarInnen können sich hier im geschützten Umfeld organisieren, Checklisten und Erfahrungsberichte abholen. Regelmäßig informiert ein Newsletter über neue Entwicklungen. Das ist alles kostenlos. NachbarInnen können zudem jederzeit anrufen oder per Mail Rat einholen.

Wie können sich Sponsoren ins Netzwerk einbringen?

Wir schlagen Sponsoren und Förderern konkrete Aktionen vor, mit denen sich alle Beteiligten gut identifizieren können. Alle Preisgelder beispielsweise gehen 1:1 an Gemeinschaftsprojekte. Wir berechnen für die Öffentlichkeitsarbeit ein Honorar. Uns ist Transparenz sehr wichtig. An der Erfolgsgeschichte des Netzwerk Nachbarschaft sollen wirklich alle teilhaben.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Sehr wichtig ist uns der weitere Ausbau des mit der AOK Rheinland/Hamburg initiierten Projektes „Gesunde Nachbarschaften". Wir fördern hier gezielt die Selbsthilfe und aktive Solidarität in Mehrgenerationen-Nachbarschaften. Dazu werden wir unsere Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Verbänden und Vereinen weiter ausbauen. Besonders am Herzen liegt mir die Förderung von Nachbartreffs, die für alle Generationen und Nationalitäten offen sind. Gute Beispiele gibt es viele, von der ‘Bänk for better underständig’ über die Poststube bis hin zum Backhaus in Nachbarschaften. 2018 haben wir 100te solcher kleiner Netzwerke vorgestellt und mit unserer Plakette “Ort der guten Nachbarschaft” prämiert.

Danke für das Gespräch.

Das Interview führte Matthias Schnabel vom Expertenbeirat Netzwerk Nachbarschaft.

Mehr zu "Gesunde Nachbarschaften" von Netzwerk Nachbarschaft in Kooperation mit der AOK Rheinland/Hamburg finden Sie hier.