Eine persönliche Frage: Was war Ihr schönstes Nachbarschaftserlebnis?
Die Straße, in der ich wohne, wurde einmal von einer Schlammlawine getroffen. Alle Nachbarn haben sich damals gegenseitig geholfen, bis die Schäden beseitigt waren. Anschließend haben wir ein kleines Fest gefeiert. Das hat den Zusammenhalt der Nachbarschaft unheimlich gestärkt.
In welchen gesellschaftlichen Bereichen kann gute Nachbarschaft richtig viel bewirken?
Gute Nachbarschaft ist generell ein wesentlicher Beitrag zur Lebensqualität. Dabei sind gegenseitiger Respekt, die persönliche Wertschätzung, eine gewisse Hilfsbereitschaft und die Wahrung persönlicher Grenzen wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Nachbarschaft. Sie bewährt sich in der Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung und kann weder eingefordert noch gar eingeklagt werden. Sie beruht auf gegenseitigem Vertrauen und Sympathie und freilich auch auf einem gewissen Einfühlungsvermögen in die jeweils akuten Hilfebedürfnisse des Nachbarn oder der Nachbarin. Es gibt zahlreiche Beispiele für die förderliche Wirkung nachbarschaftlicher Hilfe. Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich nicht generalisieren lassen. Entscheidend ist der Grad der Hilfsbedürftigkeit, auch die Dringlichkeit der benötigten Hilfe. Entscheidend ist aber auch, ob ich als Nachbar oder Nachbarin über die erforderlichen Mittel verfüge, die mir eine Hilfestellung ermöglichen. Ich will das anhand von konkreten Beispielen erläutern: Berufstätigen Eltern ist geholfen, wenn sie im Bedarfsfall auf nachbarschaftliche Hilfe zurückgreifen können, um ihr Kind rechtzeitig vom Kindergarten (Schule etc.) abzuholen. Familien, in denen ein Mitglied unvorhergesehen ärztlicher Hilfe bedarf (wegen einem Unfall/weil ein Kind Geschirrspülmittel geschluckt hat/weil eine Infektion ausgebrochen ist etc.), können durch Nachbarn entlastet werden, wenn diese die nicht unmittelbar betroffenen Familienmitglieder in Obhut nehmen. Ältere, nicht mehr uneingeschränkt mobile Menschen, benötigen Begleitung beim Arztbesuch, beim Gang zum Optiker, zum Hörgeräteakustiker, zum Apotheker, bei Behördengängen, beim Friedhofsbesuch; sie brauchen Unterstützung beim Einkaufen; sie benötigen Hilfe beim Schneeräumen, bei der Kehrwoche. Alleinstehende freuen sich mitunter über einen Besuch. Durch die nachbarschaftliche Hilfe ist es zahlreichen Älteren möglich, in ihrer vertrauten Umgebung wohnen zu bleiben.
Weniger spektakulär, gleichwohl aber entlastend sind verbreitete Hilfestellungen wie Blumenpflege, Haustierasyl, Postkastenleeren, Kehrwochentausch in Urlaubszeiten.
Das sind nur einige wenige Beispiele, die die einträgliche Wirkung gegenseitiger nachbarschaftlicher Hilfe unterstreichen. Verordnen lässt sich diese nicht; sie wird freiwillig erbracht.
Welche Aktionen von Nachbarn beeindrucken Sie besonders?
Ich persönlich kann mich nicht auf eine bestimmte Aktion oder Situation festlegen. In meiner Nachbarschaft beeindruckt mich ganz allgemein und immer wieder aufs Neue der gute Zusammenhalt, die Art und Weise, sich um den anderen zu kümmern und nach dem Rechten zu sehen.
In welchen Bereichen kann die Politik Nachbarschaftsgemeinschaften stärker fördern?
Politik kann auf die allgemeinen Voraussetzungen für gelingende Nachbarschaften Einfluss nehmen. Gemeinschaft entsteht im gegenseitigen Handeln mit- und füreinander. Konkret erstreckt sich der Erfahrungsraum von Nachbarschaften auf die Kommunen. Hier entstehen aus Eigeninitiative z. B. viele neue, integrative Wohnformen, in denen sich ein guter Nachbarschaftsgeist verwirklicht. Beispiele sind etwa die Wohngemeinschaften von Studenten mit behinderten Menschen. Gemeinsam mit den Wohlfahrtseinrichtungen können Kommunen geeigneten Wohnraum schaffen, wo ein solches Zusammenleben möglich wird. Ein anderes Beispiel ist etwa das Mühlbachhaus in Schorndorf. Aus dem Gedanken heraus entstanden, eine geeignete Wohnform für das eigene Alter zu finden, hat eine Privatinitiative die Vorstellung von diesem Haus entwickelt und realisiert. Analog zum Leitgedanken „Selbstorganisation, Solidarität, Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit verpflichtet“ ist hier eine Wohnanlage entstanden, die nachbarschaftliche Unterstützung zur Voraussetzung hat. Aus der Ursprungsidee einer Alters-WG wurde „eine Hausgemeinschaft, generationen- und einkommengemischt, die sich als Alternative zur zunehmenden Vereinzelung von Familien, Alleinerziehenden, Singles und Senioren in Schorndorf versteht.“ Politik kann solche und vergleichbare Initiativen etwa dadurch unterstützen, dass sie bei der Suche nach geeigneten Bauplätzen und bei der Baufinanzierung hilft. Auch kann sie durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit die Wahrnehmung so beispielhafter Projekte mit dem Ziel der Nachahmung an anderen Orten unterstützen.
Warum sind Sie selbst eine gute Nachbarin?
Eigenlob ist ja immer schwierig. Ich will aber trotzdem versuchen, eine Antwort zu geben. Mit meiner Tochter wohnt schon die fünfte Generation im Haus meiner Familie. Daher kenne ich natürlich alle und jeden in der Nachbarschaft. Und wenn man sich so gut kennt, dann hilft man sich auch gegenseitig, wo man kann. Ich glaube, darin stehe ich meinen Nachbarn in nichts nach. Unsere gute Nachbarschaft kann aber auch zu einem „Problem“ werden. Denn wenn ich in meiner knappen Freizeit mal im Garten arbeiten will, endet das meist eher mit einem kleinen Schwätzchen am Gartenzaun als mit einem penibel aufgeräumten Garten. Aber beschweren will ich mich darüber sicherlich nicht.
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