Planung & Organisation

Lieber selbst verwalten – Nachbarn organisieren sich neu

Nachbarn könnten ihre Eigeninitiative viel besser ausspielen, wenn die Verwaltungen sie dabei mehr unterstützen würden, statt sie auszubremsen.  Die Gründerin von Netzwerk Nachbarschaft und engagierte Nachbarin Erdtrud Mühlens im Interview.

 

Was ist der Vorteil von selbstorganisierten Nachbarschaften?

Nachbarn legen ein beeindruckendes Maß an Kreativität und Engagement an den Tag – und werden doch oft durch Bürokratie ausgebremst. Langwierige Genehmigungsverfahren, selbst für die Aufstellung von Fahrradhäuschen in Straßen, schrecken sie ab. Viel zu oft wird nachbarschaftliche Eigeninitiative bei Behörden nicht wirklich gewollt.

 

Sollten Verwaltungen auf Nachbarn mehr zugehen?

Ja, unbedingt. Vielfach ist da aber auch Unbeholfenheit im Spiel. Ich habe selbst erlebt, dass eine Bezirksversammlung, bei der es um so ein wichtiges Thema wie die Gestaltung des Marktplatzes ging, erst mit einer Stunde Verzögerung beginnen konnte. Man hatte für 60 Menschen bestuhlt, tatsächlich aber kamen 300 Anwohner. Die Powerpoint-Präsentation war von den hinteren Reihen aus unmöglich erkennbar. Die Anwohner wollen weit mehr Einfluss ausüben, als es die Verwaltung vorsieht.

 

Hat die Verwaltung Transparenz verlernt?

Das berichten zumindest viele, die sich für eine Verbesserung ihres Wohnumfelds einsetzen und dann mit Verwaltungen konfrontiert sehen, die ihre Initiative ausbremsen, manchmal auch zum naiven Vorhaben herunterspielen. Oft hört man: „Da kann ja jeder kommen!“ –allerdings mahnend verkündet und mit erhobenem Zeigefinger. Natürlich muss Ordnung sein. Aber wir brauchen eine Ordnung, die den Bedürfnissen der Bewohner Raum gibt.

Was können Nachbarn von selbstverwalteten Projekten lernen?

Grundsätzlich sind Selbstverwaltungen ein Gegenmodell zur Fremdverwaltung, die als von oben aufgesetztes behördliches Regelwerk daherkommt. Dagegen steht der Wunsch der Nachbarn, sich mit ihrem Wohnumfeld zu identifizieren und stärker Einfluss zu nehmen. Bei den selbstverwalteten Projekten von Nachbarn wird niemand ausgegrenzt, jeder kann seine Talente und Fähigkeiten einbringen. Dadurch wird die Bindung unter Nachbarn auf sehr nachhaltige Art gestärkt.

Nehmen selbstverwaltete Projekte zu?

Ja, und das sehr dynamisch. Wobei wir den Begriff Selbstverwaltung weit auslegen. Auch ein Straßenfest ist selbstverwaltet, wenn es von den Nachbarn und nicht von der Kommune oder dem ortsnahen Einzelhandel organisiert ist. Für Projekte wie Ausleih- und Tauschbörsen, Baumpflanz- oder Verkehrsberuhigungsaktionen müssen Nachbarn nicht  gleich einen Verein gründen. Anders ist das bei Baugemeinschaften bzw. Wohnprojekten. Hier gilt es, einen verbindlichen Umgang miteinander zu manifestieren. Die klassische Form der Selbstverwaltung mit einvernehmlichen Statuten ist da sehr zweckvoll.

 

Was raten Sie Nachbarn, die zum ersten Mal gemeinsam ein Projekt umsetzen?

Sie sollten sich viel Zeit nehmen, um sich gut kennenzulernen und ihre unterschiedlichen Talente zu „outen“. So gelingt es, gemeinsame Interessen sicher und punktgenau zu formulieren. Auf dieser Grundlage können dann die  Zuständigkeitsbereiche festgelegt und das Projekt gestartet werden. Der regelmäßige – auch fröhliche – Austausch ist absolut wichtig.

 

Wie hilft hier das Netzwerk Nachbarschaft?

Vor allem profitieren die Mitglieder von den Erfahrungen und dem umfassenden Knowhow von und für Nachbarn. Auf der Internet-Plattform können sie sich Ideen und Rat holen und Checklisten downloaden. Dieser Austausch wird immer wichtiger.