Mehrgenerationen

Mit nachbarschaftlicher Zuwendung gegen Mangelernährung

Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) entwickelte Dr. Rainer Wirth gemeinsam mit Prof. Dr. Dorothee Volkert neue Leitlinien zur Ernährung älterer Menschen. Im Interview mit Netzwerk Nachbarschaft erläutert er, was eine gute Ernährung für diese Altersgruppe auszeichnet.

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Dr. Rainer Wirth, Arzt und Ernährungsexperte für Senioren

Was sollten Nachbarn beachten, wenn sie für ihre älteren Mitmenschen kochen?

Nachbarn, die für ältere Menschen mitkochen, sorgen am besten für energiedichte Nahrung mit viel Fett und Eiweiß. Dieses Umdenken ist die größte Herausforderung. Während wir bei einem saftigen Steak den Fettrand eher wegschneiden, können Senioren den Rand ruhigen Gewissens mitessen. Viel Obst und Gemüse sollte selbstverständlich auch immer auf dem Speiseplan stehen. Insgesamt gilt: für eine ausgewogene Mischkost mit vielen Ballaststoffen sorgen. Erfahrungsgemäß gibt es besonders beim Frühstück Probleme. Es enthält meistens zu wenig Eiweiß. Brotbeläge wie Wurst, Käse und Quark sollten vorrangig am Morgen aufs Brot kommen. Und ganz wichtig ist: trinken, trinken, trinken!

Wie können Nachbarn die gesunde Ernährung der Senioren unterstützen?

Ich kann mir vorstellen, dass Einkaufshilfen für viele alleinstehende Senioren schon eine enorme Entlastung sind. Wer möchte, kann außerdem einfach ein bisschen mehr für die älteren Nachbarn mitkochen. Einladungen zum Essen oder Kochen auf Vorrat tragen ebenfalls zur gesunden Ernährung bei. Nicht zu vergessen: Gemeinsame Mahlzeiten sind die beste Unterstützung und Animation zum Essen. Und: das Essen lieber in kleinen Portionen appetitlich zubereiten als einen zu vollen Teller auf den Tisch bringen. Das kann schnell eine Überforderung darstellen.

Welche Ursachen hat die Mangelernährung bei älteren Menschen?

Mangelernährung bei Senioren hat vielfältige Ursachen. Ein wesentlicher Punkt sind Einsamkeit und Depressionen im Alter, das Fehlen sozialer Kontakte. Da macht das Essen einfach nicht so viel Spaß. Wir kennen das aus eigener Erfahrung: Am Tisch mit vielen Leuten isst man deutlich lieber und auch mehr als alleine zu Hause. Essen hat also einen hohen sozialen Aspekt – es bedeutet Kommunikation und Genuss, es gliedert unseren Tag. Das ist im Alter oftmals nicht mehr gegeben. Darunter leidet dann auch die Qualität der Ernährung.

Inwieweit spielen Krankheit und Medikamente eine Rolle?

Eine große. Viele ältere Menschen haben körperliche Beschwerden, die den Appetit einschränken. Das können Kau- und Schluckprobleme aber auch Nebenwirkungen von Medikamenten sein. Besonders bei chronischen Erkrankungen wie Rheuma befinden sich Botenstoffe für Entzündungen im Blut, die eine appetitunterdrückende Wirkung haben. Werden mehrere Medikamente eingenommen, erhöht sich das Risiko für appetithemmende Nebenwirkungen. Auch Demenzerkrankungen spielen bei Mangelernährung häufig eine ursächliche Rolle. Da ältere Menschen oft unter mehreren Erkrankungen leiden, kommen also verschiedene Ursachen für Mangelernährung zusammen.

Was sollten ältere Menschen zu sich nehmen und was vermeiden?

Man sollte dem Körper ausreichend Eiweiß zuführen. Das ist für den Erhalt der Muskeln wichtig und damit auch für die Stabilisierung und Kräftigung des Körpers. Die DGG empfiehlt momentan 0,8 Gramm Eiweiß je Kilo Körpergewicht pro Tag, besser wären jedoch 1,0 bis 1,5 Gramm je Kilo täglich.

Bedeutet das eine Umstellung der Ernährung?

Empfehlungen, die man das ganze Leben lang beherzigte, verlieren im Alter oft an Bedeutung. Speziell Senioren ab 75 Jahren sollten darauf achten ihr Gewicht zu halten. Das gilt sogar für den Fall, dass sie übergewichtig sind. Bei einem Gewichtsverlust schmelzen nämlich nicht nur die Pfunde, sondern auch die Muskulatur.